Ukraine: Sergej Glasjew über den Eurofaschismus

Von Sergej Glasjew
Sergej Glasjew ist Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und Berater des Präsidenten der Russischen Föderation. Sein Gastkommentar zur Verbreitung in den USA und Europa entstand vor der Amtseinführung von Petro Poroschenko als Präsident der Ukraine. Mit Genehmigung des Autors enthält die hier abgedruckte Version Auszüge aus einem Interview, das dieser am 21. März 2014 dem russischen Rundfunksender Radio Radonesch gab. Zwischenüberschriften von der Redaktion.


Die derzeitigen Ereignisse in der Ukraine werden vom bösen Geist des Faschismus und Nazismus begleitet, obwohl dieser nach dem Zweiten Weltkrieg längst verschwunden schien. Siebzig Jahre nach dem Krieg ist der Geist wieder aus der Flasche entwichen, was eine Bedrohung darstellt nicht nur in Form der Insignien und Rhetorik von Hitlers Handlangern, sondern auch aufgrund eines zwanghaften Drangs nach Osten. Die Flasche wurde dieses Mal von den Amerikanern entkorkt. Genauso wie vor 76 Jahren in München, als die Briten und Franzosen Hitlers Marsch nach Osten absegneten, so werden heute Jarosch, Tjahnybok und andere Nazis in der Ukraine von Washington, London und Brüssel zum Krieg gegen Rußland angestiftet. Man ist zu der Frage gezwungen: Warum das im 21. Jahrhundert? Und warum beteiligt sich das jetzt in der Europäischen Union zusammengeschlossene Europa an der Entfachung eines neuen Krieges, als wenn es einen Totalverlust seines historischen Gedächtnisses erlitten hätte?

Die Beantwortung dieser Fragen erfordert zunächst eine genaue Definition des Geschehens. Das wiederum muß damit beginnen, auf Grundlage der Fakten die wichtigen Einzelteile der Ereignisse zu ermitteln. Die Tatsachen sind allgemein bekannt: [Der frühere ukrainische Präsident] Janukowitsch weigerte sich, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, wozu die Ukraine gedrängt werden sollte. Danach entfernten ihn die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten von der Macht, indem sie in Kiew einen gewaltsamen Putsch organisierten und eine Regierung einsetzten, die illegitim, ihnen aber völlig hörig war. In diesem Artikel wird sie „die Junta“ genannt.

Ziel dieser Aggression war es, die Annahme des Assoziierungsabkommens zu erreichen, was durch den Umstand belegt ist, daß es von der EU-Führung und der Junta nur einen Monat nach deren Machtübernahme vorzeitig unterschrieben wurde. Es wurde berichtet (das Dokument mit ihren Unterschriften ist noch nicht veröffentlicht!), daß nur der politische Teil des Abkommens unterzeichnet worden sei – jener Teil, der die Ukraine verpflichtet, die Außen- und Verteidigungspolitik der EU zu befolgen und sich unter EU-Aufsicht an der Lösung regionaler ziviler und militärischer Konflikte zu beteiligen. Mit diesem Schritt ist die Annahme des gesamten Abkommens nur noch eine Formsache.

Die „Euro-Besatzung“ der Ukraine
Im wesentlichen bedeuten die Ereignisse in der Ukraine die erzwungene Unterordnung des Landes unter die Europäische Union – was man auch „Euro-Besatzung“ nennen könnte. Die EU-Führer, die uns ständig über Gesetzestreue und rechtsstaatliche Grundsätze belehren, setzen sich in diesem Fall selbst über die Rechtsstaatlichkeit hinweg, indem sie einen unrechtmäßigen Vertrag mit einer unrechtmäßigen Regierung schließen. Janukowitsch wurde gestürzt, weil er diesen nicht unterschreiben wollte. Diese Weigerung muß überdies nicht nur mit Blick auf den Inhalt des Abkommens verstanden werden, sondern auch aufgrund der Tatsache, daß es zu dessen Annahme keine Rechtsgrundlage gab, denn das Assoziierungsabkommen verstößt gegen die ukrainische Verfassung, die keine Übertragung staatlicher Souveränität auf eine andere Seite vorsieht.

Nach der ukrainischen Verfassung kann ein internationales Abkommen, das mit der Verfassung in Widerspruch steht, nur dann unterzeichnet werden, wenn zuvor die Verfassung geändert wird. Die von den USA und der EU eingesetzte Junta ignorierte diese Bedingung. Daraus folgt, daß die USA und die EU den Sturz der legitimen ukrainischen Regierung organisierten, um das Land seiner politischen Unabhängigkeit zu berauben. Der nächste Schritt wird sein, der Ukraine durch den Beitritt zum Wirtschaftsteil des Abkommens ihre bevorzugte Wirtschafts- und Handelspolitik aufzunötigen.

Auch wenn sich die heutige Euro-Besatzung von der Besatzung der Ukraine 1941 insofern unterscheidet, daß sie ohne die Invasion fremder Truppen stattfand, so besteht dennoch an dem Zwangscharakter keinerlei Zweifel. Genauso wie die Faschisten der Bevölkerung der besetzten Ukraine sämtliche Bürgerrechte entzogen, behandeln die heutige Junta und ihre amerikanischen und europäischen Hinterleute die Gegner der Eurointegration als Kriminelle, beschuldigen sie grundlos des Separatismus und Terrorismus, inhaftieren sie oder senden sogar Nazi-Guerillas aus, um sie zu erschießen.

Solange Präsident Janukowitsch auf Kurs war, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu schließen, wurde er von verschiedenen EU-Politikern gelobt und umschmeichelt. Jedoch in dem Moment, wo er ablehnte, begannen amerikanische Einflußagenten (sowie auch offizielle US-Repräsentanten wie der amerikanische Botschafter in der Ukraine, die Außenamtsstaatssekretärin und Vertreter der Geheimdienste) zusammen mit europäischen Politikern, ihn an den Pranger zu stellen und seine politischen Gegner zu rühmen. Mit massiver propagandistischer, politischer und finanzieller Unterstützung wurden die Euromaidan-Proteste von ihnen zu einer Bühne der Putschvorbereitungen gemacht. Viele der Protestaktionen, darunter verbrecherische Angriffe auf Sicherheitsbeamte und Besetzungen von Regierungsgebäuden, begleitet von Mordanschlägen und physischen Attacken auf eine Vielzahl von Leuten, wurden unter Beteiligung der amerikanischen Botschaft und europäischen Politikern unterstützt, geplant und organisiert, die sich damit nicht nur in die inneren Angelegenheiten der Ukraine „einmischten“, sondern auch mit Hilfe der von ihnen selbst kultivierten Nazi-Guerillas eine Aggression gegen das Land verübten.

Nazis und religiöse Fanatiker zu benutzen, um die politische Stabilität in verschiedenen Regionen der Welt zu erschüttern, ist eine Lieblingsmethode amerikanischer Dienste. Sie wurde gegen Rußland im Kaukasus, in Zentralasien und jetzt sogar in Osteuropa eingesetzt. Das Programm „Östliche Partnerschaft“, das auf Betreiben der USA von Polen und der EU in Gang gesetzt wurde, war von Anfang an gegen Rußland gerichtet, mit dem Ziel, daß frühere Sowjetrepubliken ihre Beziehungen zu Rußland abbrechen. Der Bruch sollte durch den Abschluß rechtsgültiger Assoziierungsabkommen zwischen diesen Ländern und der EU endgültig vollzogen werden.

Die „Entscheidung für Europa“
Um die politische Grundlage für solche Abkommen zu schaffen, wurde eine Kampagne gestartet, um eine Russophobie zu entfachen und den Mythos einer „Entscheidung für Europa“ zu verbreiten. Diese mystische „Entscheidung für Europa“ wurde künstlich dem eurasischen Integrationsprozeß entgegengestellt, wobei westliche Politiker und die Medien letzteren fälschlich als Versuch bezeichneten, die UdSSR wiederherzustellen.

Das Programm „Östliche Partnerschaft“ ist in jeder einzelnen früheren Sowjetrepublik gescheitert. Belarus hat bereits seine eigene Entscheidung getroffen, indem es einen Unionsstaat mit Rußland bildete. Kasachstan, ein weiteres wichtiges eurasisches Land (wenngleich nicht formal Ziel der Östlichen Partnerschaft), entschied sich ebenfalls für einen eigenen Weg, indem es eine Zollunion mit Rußland und Belarus einging. Armenien und Kirgistan haben beschlossen, sich ebenfalls diesem Prozeß anzuschließen. Die Moldau-Provinz Gaugasien verurteilte jede Russophobie als Ausrichtung der moldawischen Politik; in einem Referendum lehnten die Gaugasier die europäische Integration zugunsten der Zollunion ab und stellten damit die Rechtmäßigkeit der von Chisinau [Hauptstadt Moldawiens, d.Red.] angestrebten „Entscheidung für Europa“ in Frage. Georgien, die einzige Republik, die eine halbwegs rechtmäßige Entscheidung zugunsten einer Assoziierung mit der EU getroffen hat, bezahlte seine „Entscheidung für Europa“ mit dem Kontrollverlust über einen Teil seines Staatsgebietes, wo die Menschen nicht unter einer Euro-Besatzung leben wollen. Das gleiche Szenario wird jetzt in der Ukraine durchgespielt – Verlust eines Teils des Staatsgebiets, wo die Bürger die von der Führung verkündete „Entscheidung für Europa“ nicht akzeptieren.
Weiterlesen: http://www.solidaritaet.com/neuesol/2014/29/glasjew.htm

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